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Martin war der Sohn eines heidnisch-römischen Tribuns. Er wurde in Pavia, der
Heimatstadt des Vaters, christlich erzogen und im Alter von zehn Jahren in die
Gruppe der Katechumenen - der Taufbewerber - aufgenommen. Mit 15 Jahren musste
er auf Wunsch des Vaters in den Soldatendienst bei einer römischen
Reiterabteilung in Gallien eintreten. Im Alter von 18 Jahren wurde er von Hilarius, dem späteren Bischof von Poitiers, getauft, im Alter von 20 Jahren
schied er vor einem neuen Germanenfeldzug aus dem Militär aus, weil Christsein
und Militärdienst sich nicht vereinbaren lassen. Zuvor geschah nach der Legende,
was Martin weltberühmt machte: Martin begegnete am Stadttor von Amiens als
Soldat hoch zu Ross einem frierenden Bettler, ihm schenkte er die mit dem
Schwert geteilte Hälfte seines Mantels; in der folgenden Nacht erschien ihm dann
Christus mit dem Mantelstück bekleidet: er war es, der Martin als Bettler
prüfte.
Martin ging zu Hilarius von Poitiers - damals der Hort der Orthodoxie - und
wurde zum Exorzisten geweiht. Martin kehrte in seine Heimat Pannonien - der
damaligen römischen Provinz im heutigen Ungarn - zurück; er wollte dort
missionieren und taufte zuerst seine Mutter. In den Streitigkeiten um den
Arianismus wurde Martin ausgewiesen und zog sich nach mancherlei Wundern und
Abenteuern über Mailand, wo ihm Ambrosius begegnet sein mag, auf die kleine
Insel Gallinaria vor im Golf von Genua zurück. Er führt ein
Einsiedlerleben, bis ihn der aus der Vertreibung zurückgekehrte Bischof Hilarius
360 zu sich nach Poitiers rief. Martin errichtete dann 361 in Ligugé in der Nähe
von Poitiers eine Einsiedlerzelle, aus der das erste Kloster Galliens wuchs.
Martin wurde 371 / 372 auf Drängen des Volkes Bischof von Tours, trotz
Vorbehalten seitens des Klerus und gegen seinen Willen. Die Legende berichtet,
er habe sich in einem Stall versteckt, um der Wahl zu entgehen, doch hätten ihn
die Gänse durch ihr Schnattern verraten. Der volkstümliche Brauch der
Martinsgans, die man vielerorts zum Martinsfest verzehrt, rührt wohl von dieser
Geschichte her. Andere Überlieferung berichtet: als Martin als Bischof predigte,
wurde er durch eine Schar schnatternder Gänse, welche in die Kirche watschelten,
unterbrochen. Sie wurden gefangen genommen und zu einer Mahlzeit verarbeitet.
Beim Volk war Martin beliebt als ein gerechter, treusorgender Bischof. Seine
Lebensweise blieb asketisch, er lebte zuerst in einer Zelle an der Kathedrale,
dann gründete er eine Kolonie an der Loire nahe Tours; daraus entwickelte sich
das Kloster Marmoutier/Maursmünster, das zu einem bedeutenden religiösen Zentrum
wurde. Hier lebten unter Martins Leitung 80 Mönche ohne persönliches Eigentum,
mit dem Verbot von Kauf und Verkauf, angewiesen allein auf Spenden; Handarbeit
außer dem Schreiben war untersagt, es gab eine tägliche gemeinsame Mahlzeit,
gemeinsames Gebet, strenge Klausur und keine Verbindung zum Klerus der
Kathredrale. Zur dieser Gemeinschaft gehörten auch Mitglieder des gallischen
Adels; höchste Beamte kamen zu Martin als Wunderheiler. Seine Askese brachte ihm
aber immer wieder die Gegnerschaft des Klerus ein.
Missionsreisen führten Martin durch sein ganzes Bistum. Mit Hilfe seiner Mönche
gründete er Landpfarreien und organisiere den Pfarreiklerus nach dem Vorbild
seiner Mönche. Sein prophetengleich gebieterisches Auftreten ermöglichte ihm
eine straflos bleibende Konfrontation mit dem Usurpator Maximus, bei dem er -
vergeblich - versuchte, die von ihm selbst abgelehnten Priscillianer vor
blutiger Verfolgung zu retten.
Alle Legenden betonen Martins schlichte Lebensart und demütige Haltung: Er
putzte selbst seine Schuhe und saß nicht auf der bischöflichen Kathedra, sondern
auf einem Bauernschemel. Als er seinen Rock einem Armen gab und der für ihn auf
dem Markt neu gekaufte zu kurze Ärmel hatte, bekleideten ihn Engel während der
Messe. Bei einem Mahl mit dem Kaiser ließ dieser Martin den Pokal zuerst
reichen, er aber gab ihn nicht dem Kaiser zurück, sondern an seinen Priester
weiter. Andere Legenden erzählen, wie Martin ein Kind vom Tod erweckte, einen
heidnischen Baum gefällt habe, oder dass er das Blut des Märtyrers Mauritius und
seiner Gefährten aufgefangen habe.
Tief beeindruckt von Martin waren Paulinus von Nola, der nun selbst am Grab des Felix in Nola ein Kloster gründete, in dem er lebte. Sein Freund, der Rhetor Sulpicius Severus gründete eine asketisch lebende gelehrte Gesprächsgemeinschaft und verfasste Martins Lebensgeschichte. Schon zu seinen Lebzeiten und erst recht später beruhte Martins Verehrung auf Wundern, die nach seinem Tod noch zunahmen.
Auf einer Missionsreise starb Martin, zu seiner Beisetzung am 11. November -
daher der Gedenktag - strömte eine riesige Menschenmenge. Sein Schüler und
Nachfolger als Bischof,
Brictius, errichtete über seinem Grab eine Kapelle, die ein vielbesuchtes
Ziel von Pilgern und fränkisches Nationalheiligtum wurde. Perpetuus, Bischof von
Tours 461 - 491, nahm Martin in den Festkalender des Bistums auf und errichtete
eine neue, Martin geweihte Basilika; das Patrozinium breitete sich nun rasch in
der Gegend aus. Ab dem Beginn des 6. Jahrhunderts verbreiteten sich Patrozinien
in Italien - so in Rom unter Papst Symmachus, auf dem Montecassino unter
Benedikt, in Ravenna nach 540, dann auch in Spanien. Suebenkönig Chararich -
durch Martinus_von_Braga von der Richtigkeit der Orthodoxie überzeugt - erhielt
Martinsreliquien für
Braga.
König Chlodwig I. erklärte Martin zum Schutzherrn der fränkischen Könige und
ihres Volkes. Sein Mantel galt als fränkische Reichsreliquie, wurde seit 679 am
Königspalast in Paris aufbewahrt und auf allen Feldzügen mitgeführt. Wohl unter
Pippin dem Mittleren kam die cappa in die Obhut der Karolinger, die die
Martinsverehrung belebten und nach Friesland und in die rechtsrheinischen
Gebiete verbreiteten. Die Reliquien wurden größtenteils im 16. Jahrhundert von
Hugenotten zerstört, Reste sind in der um 1900 neugebauten Martinskirche
von Tours.
Quellen für Martins Lebensgeschichte sind v.a. die Vita von Sulpicius Severus,
außerdem drei Briefe und die Missionsdialoge in denen dargelegt wird, wie er als
Asket und Wundertäter die ägyptischen Mönche noch übertreffe.
Mit der Ausdehnung des Fränkischen Reiches breitete sich der Martinskult nach
Osten aus, zunächst besonders im Harz und in Thüringen. Martinsumzüge gab es
früher in katholischen Gebieten wie im Rheinland und in Schlesien, heute sind
sie weit verbreitet: an der Spitze des Zuges reitet "der Heilige", oft vom
Bettler begleitet; dann folgen singende Kinder mit Lampions in den Händen. Der
Lichterbrauch geht auf die Bedeutung Martin Luthers in Thüringen zurück: am 10.
November, dem Geburtstag Luthers und Vorabend des Fests seines Namenspatrons,
versammelten sich auf dem Erfurter Domplatz abends Kinder mit Papierlaternen, um
des Reformators zu gedenken. Der Martinsumzug ist nun in der katholischen Kirche
ein Teil der Lichtsymbolik, welche am
Allerseelentag, am 2. November, beginnt und über Advent und Weihnachten
bis Lichtmess am 2. Februar führt.
Auf die in Paris aufbewahrte Mantelreliquie des Martin wird sowohl die
Bezeichnung "Kapelle" für eine Palastkirche schon der Merowinger wie auch
Karls
des Großen,
ebenso die der dort amtierenden Geistlichen als "Kapellani" zurückgeführt: sie
stammt demnach von "cappa", "Mantel".
Der volkstümliche Brauch der Martinsgans, die man vielerorts zum Martinsfest
verzehrt, basiert auf dem Martinstag als Hauptzinstag: am Martinstag begann das
neue Wirtschaftsjahr des Bauern, an das Gesinde wurde die Löhne bezahlt,
Pachtverträge wurden geschlossen, Steuern abgeführt, Knechte und Mägde konnten,
wie an Lichtmess, den Dienstherrn wechseln. Zu Martini wurde das Vieh
geschlachtet, das aus Kostengründen nicht den ganzen Winter hindurch gefüttert
werden konnte: dazu gehörten die Gänse; so ergab sich der Brauch, am Martinstag,
vor dem großen Fasten im Advent, Gänsebraten zu essen. Die Gans war auch eine
bevorzugte Zinsbeigabe an den Grundherrn, Tribute waren oft bezahlbar in Form
von Gänsen. Später erzählte man Legenden, in denen Martin mit Gänsen in
Verbindung gebracht wurde.
In Gegenden, wo Weinbau betrieben wurde, war es üblich, am 11. November den
Helfern bei der Weinlese vom Winzer eine "Lesgans" zu schenken. Mancherorts
zogen die Kinder singend von Tür zu Tür, um Geschenke zu erbitten: Äpfel, Nüsse
und Gebäck. Mitunter gab es auch Gans-Wettkämpfe in Form des Ganslreißens,
Ganslschießens und Ganslschlagens. Neben der Martinigans gab es auch das
Martinischwein. In manchen Gebieten entzündete man Martinifeuer; die heutigen
Kinderlaternen zu Martini sind ein Relikt davon. In Süddeutschland wurden in den
Kirchen Brote geweiht und hernach an die Armen verteilt. Ein Pieter Brueghel dem
Jüngeren zugeschriebenes Bild aus der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen
Museums Wien stellt das Armenbrauchtum zu Martini dar: in den Niederlanden war
es am 11. November üblich gewesen, an die Bettler Wein auszuschenken. Oft gab es
zu Martini in weiten Teilen Europas ausgelassene Trinkgelage; in Frankreich
wandte sich schon im 6. Jahrhundert die Synode von Auxerre gegen die
feuchtfröhlichen Exzesse der Martinijünger; aus Dörfern in
Mähren
ist bekannt, dass noch im ausgehenden 19. Jahrhundert der junge Wein nach
demjenigen benannt wurde, der am Martinitag den größten Rausch davon getragen
hatte. So etwa hieß er "Gustlwein", "Sepplwein" oder "Franzlwein".
Martin war der erste Nichtmärtyrer, der im Westen als Heiliger verehrt wurde.